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Abriss zur Geschichte der Mathematik an der vereinigten Universität Halle-Wittenberg
von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wechselten die Professoren für Mathematik sehr häufig, lange Zeit war nur Otto August ROSENBERGER (1800-1890) an der Universität tätig. In dieser Zeit grenzten sich Mathematik und Naturwissenschaften zunächst von der Philosophie, danach mehr und mehr voneinander ab. Nochmals zusammengeführt wurden sie durch die Gründung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Seminars 1839, welches erst 1890 getrennt und als selbständiges mathematisches Seminar weitergeführt wurde.

Eduard Heinrich Heine in späteren Jahren.
Eine stärkere Kontinuität in der Lehrtätigkeit wurde durch die Berufung von Eduard HEINE (1821-1881) erreicht, der 1856 von Bonn als ordentlicher Professor der Mathematik nach Halle kam und hier bis zu seinem Tode blieb. In seiner vielfältigen Lehrtätigkeit anerkannt, war er 1864/1865 Rektor der Universität. Er war maßgeblich an der Grundlegung der Theorie der reellen Funktionen beteiligt, sein Name lebt fort in dem wichtigen HEINE-BORELschen Überdeckungssatz und in der Einführung des Begriffs der gleichmäßigen Stetigkeit von Funktionen. Wesentlich waren seine Arbeiten auf dem Gebiet der mathematischen Physik, bekannt ist sein "Handbuch der Kugelfunktionen" mit einer ausführlichen und geschlossenen Darstellung dieser Funktionen.

Der sicher bedeutendste Mathematiker der Universität Halle war Georg Ferdinand Ludwig Philipp CANTOR (1845-1918),
Das Foto zeigt Georg Cantor in späteren Jahren.
der 1869 als Dozent in Halle begann und bis zu seinem Tode hier verblieb. Seine grundlegenden Forschungen zur Herausbildung der Mengenlehre gehören zu den großartigsten Leistungen des menschlichen Denkens und bewirkten eine der umfassendsten Umwälzungen in der Geschichte der Mathematik.

Neben CANTOR wirkten Friedrich Heinrich Albert WANGERIN (1844-1933) ab 1882 und Carl Friedrich August GUTZMER (1860-1924) ab 1905 als Ordinarien an der Universität.

Im Jahre 1923 wurde die Mathematik ein Teilbereich der neu gebildeten Naturwissenschaftlichen Fakultät, die sich von der Philosophischen Fakultät abtrennte. Etwa zur gleichen Zeit wechselten auch die Ordinarien für Mathematik. Im Jahre 1920 wurden Heinrich JUNG (1876-1953); 1930 Heinrich BRANDT (1886-1954) nach Halle berufen und führten die Mathematik über die Zeit des 3. Reiches und des 2. Weltkrieges hinweg bis in die Nachkriegszeit. Relativ kurz (1925-1930) wirkte in Halle auch der bekannte Zahlentheoretiker Helmut HASSE (1898-1979). Die weitgehende Kontinuität in der Besetzung des Bereichs erleichterte wesentlich den Neuanfang 1946, das Kursprogramm konnte ohne größere Einschränkungen sofort wieder aufgenommen werden, das Mathematische Seminar wurde weiterhin von beiden Ordinarien gemeinsam geleitet.

BRANDT als Dekan gelang es, einen Lehrstuhl für Angewandte Mathematik neu einzurichten. Den Ruf dafür erhielt 1945 John Harry SCHMIDT (1894-1951). Die Zeit um 1950 brachte überhaupt eine Vielzahl von Veränderungen im Bereich Mathematik. Im Jahre 1948 wurde Herbert Camillo GRÖTZSCH (1902-1993) nach Halle berufen, dessen Arbeiten auf dem Gebiet der Funktionentheorie und der Graphentheorie große Anerkennung fanden. Als Nachfolger für JUNG und BRANDT kamen 1952 Ott-Heinrich KELLER (1906-1990) nach Halle, im gleichen Jahr Hans SCHUBERT (1908-1987).

Die gegenüber den Kriegs- und Vorkriegsjahren ständig wachsende Zahl der Studenten machte eine Vergrößerung des Lehrkörpers in zunehmendem Maße notwendig, Assistenten, Lehrbeauftragte und andere wissenschaftliche Mitarbeiter wurden eingestellt. Dazu kamen weitere Berufungen von ordentlichen Professoren und solchen mit Lehrauftrag. Dies wirkte sich auch auf eine Erhöhung der Zahl der Doktoranden aus. Rein äußerlich äußerte sich dies dadurch, daß 1953 das Mathematische Seminar in I. Mathematisches Institut unter dem Direktorat von KELLER und GRÖTZSCH und das bisherige Institut für Angewandte Mathematik in II. Mathematisches Institut unter dem Direktor SCHUBERT umbenannt wurde. Im Jahre 1961 wurde im II. Mathematischen Institut ein Rechenzentrum unter der Leitung von Professor Erich SCHINCKE (1917-1979) gegründet, welches dann dem 1964 neu gegründeten Institut für Numerische Mathematik angegliedert wurde.

Die nach der III. Hochschulreform gegründete Sektion Mathematik umfaßte ab 1969 die Wissenschaftsbereiche Algebra/Geometrie, Analysis, Numerische Mathematik, Methodik des Mathematikunterrichts, das Rechenzentrum sowie die Spezialklassen für Mathematik und Physik.

Strukturelle und personelle Veränderungen ergaben sich wie an der gesamten Universität mit dem Umbruch im Jahre 1989. Der Erneuerungsprozeß führte durch Zusammenlegung der entsprechenden Bereiche der Universität, der Technischen Hochschule Merseburg und der Pädagogischen Hochschule Halle zur Neugründung des Fachbereiches Mathematik und Informatik. Zu den traditionellen Bereichen, dem Institut für Algebra und Geometrie, dem Institut für Analysis, dem Institut für Numerische Mathematik und der Abteilung für Didaktik der Mathematik, kamen das Institut für Informatik und das Institut für Optimierung und Stochastik dazu.


Das Melanchthonianum am Universtätsplatz war über viele Jahre Sitz der Mathematik in Halle. Die Aufnahme wurde 1902 gemacht.


Literatur


[ Inhaltsverzeichnis ] Autoren: M. Goebel, Ka.Richter, Ku.Richter, S.Sauter 15. Nov. 1997

optstoch@ 14. Jan. 2016, 15. Juli 1998, © goma