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Abriß zur Geschichte der Mathematik an der Leucorea

Im Wesentlichen nach: W. Friedensburg. Geschichte der Universität Wittenberg. Max Niemeyer Verl. Halle a. S. 1917.

Als am 18. Oktober 1502 die Universität zu Wittenberg, die Leucorea, sich feierlich konstituierte, bestand sie aus der theologischen, juristischen und artistischen Fakultät, zu denen wenige Jahre später die medizinische Fakultät

Das Wappen der Leucorea
hinzutrat. Mathematiker, die üblicherweise der untersten Fakultät, also der Fakultät der Artisten angehörten, waren zunächst nicht vertreten. In den ersten Jahren der Leucorea wurde Mathematik, wenn überhaupt, nur sporadisch und dann auch noch oft als Anhängsel zur Metaphysik gelesen.

Die Situation änderte sich 1514 grundlegend, als durch Fakultätsbeschluß die Mathematik offiziell als selbständiges Lehrfach eingeführt wurde. Man erachtete die Mathematik als unabdingbar, um etwa zum Verständnis der Lehren von Aristoteles zu gelangen. Da aber, nach Meinung der Fakultät, das Wissen der Scholaren in Mathematik, der sichersten und ursprünglichsten aller Wissenschaften, kaum genügen konnte, sollte fortan Mathematik sowohl im Sommer als auch im Winter angeboten werden. Und zwar im Sommer als Pflichtvorlesung für die Bewerber um das Bakkalaureat auf Grund eines "Computus Ecclesiasticus" und der berühmten Abhandlung De sphaera mundi des Johannes de Sacrobusto (Sacrobosco) (gest. 1256). Im Winter sollte als Pflichtvorlesung für zukünftige Magister entweder Euklid, die "gemeine Arithmetik", "Musik" oder die Schriften von Johannes de Muris (Mathematiker des 14. Jahrhunderts) behandelt werden. Erster Lektor der Mathematik wurde Bonifazius Erasmi (de Rode) (um1480-1560) aus Zörbig, der beginnend mit dem Wintersemester 1506/07 an der Leucorea studiert hatte und hier 1509 Magister der Artistenfakultät geworden war. Allerdings erwiesen sich die Anforderungen an Erasmi wohl als zu hoch, so daß er 1518, oder vielleicht auch erst 1519, aus dem Dienst verabschiedet und 1519 Johannes Volmar (?-1536) aus dem badischen Villingen als sein Nachfolger bestellt wurde. Dieser hatte in Krakau studiert und 1515 in Wittenberg die Magisterwürde erlangt.

1521 erfolgte eine umfassende Reorganisation der Universität, die insbesondere für die Artistenfakultät zahlreiche Veränderungen brachte. Es war Phillip Melanchthon (1497-1560), neben Martin Luther (1483-1546) die herausragende Persönlichkeit der Leucorea in der Zeit der Reformation, der die Mathematik für so wichtig hielt, daß er dafür zwei Lektionen forderte. So wurde Volmar in seiner Stellung als Ordinarius für Mathematik bestätigt und verpflichtet, künftig in täglichem Wechsel höhere und niedere Mathematik zu lesen, wobei man ihm die Auswahl der zugrundeliegenden Autoren und Bücher überließ. Jedoch bereits 1525 spaltete man das Ordinariat Mathematik auf und schuf die Ordinariate für Höhere bzw. Niedere Mathematik. Während Volmar nunmehr für etwa 11 weitere Jahre der Ordinarius für Höhere Mathematik wurde, berief man Johannes Longicampianus (gest. 1529) als ersten Professor für Niedere Mathematik.

Die von Luther eingeleitete Reformation rief in ganz (? nicht nur in reformierten Teilen Deutschlands?) Deutschland eine tiefe Bildungskrise hervor. An der Leucorea (und nicht nur dort) kam das wissenschaftliche Leben fast zum Erliegen; Disputationen und Promotionen fanden zuletzt nicht mehr statt; die Studentenzahlen gingen von 1520 bis 1530 um zwei Drittel zurück.
Philipp Melanchthon - langjähriger Förderer der Mathematik
(ULB Halle, Sondersammlungen Vc 137 M42)
Die Universität konsolidierte sich im Laufe des folgenden Jahrzehnts. Mit der Fundation von 1536 wurden an der Artistenfakultät 11 ordentliche Lehrstühle geschaffen. Darunter zwei für Mathematik, womit die seit 1525 übliche Trennung in Höhere und Niedere Mathematik festgeschrieben wurde. Beide Mathematikprofessoren wurden übrigens gleich hoch besoldet; aber natürlich niedriger als die Professoren der anderen drei Fakultäten.

......... Statuten der Artistenfak, geschr. v. Melanchthon Professor Mathematum inferiorum, Professor Mathematum superiorum, Prof. Math. sup.


Weitere Abbildungen

J.F. Pfaff, Ausschnitt aus einem Gemälde eines unbekannten Malers, um 1820.
Das Melanchthonianum war über viele Jahre Sitz der Mathematik in Halle. Die Aufnahme wurde 1902 gemacht.


Literatur

  1. W. Friedensburg. Geschichte der Universität Wittenberg. Max Niemeyer Verl. Halle a. S. 1917.
  2. M. Treu et al. (Hrsg.). Leucorea. Bilder zur Geschichte der Universität. Edition Lufft. Lutherstadt Wittenberg 1999.

[ Inhaltsverzeichnis ] Autor: M. Goebel

optstoch@ ?? Mai 2000, © goma