Prof. Heinrich Eduard Heine wurde 1856 zum ordentlichen Professor für Mathematik an die Universität in Halle
berufen, wo er mehr als 20 Jahre höchst erfolgreich als Forscher und Lehrer tätig war. Hier entstanden seine
bedeutendsten Arbeiten zur Functionenlehre, Potentialtheorie und zu den
Differentialgleichungen. Hier entstand auch sein Werk über die Kugelfunktionen, das viele Jahre als
das Standardwerk auf diesem Gebiet galt. Heine war der wichtigste Vertreter der Weierstraßschen Schule im 19. Jahrhundert.
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1821 | Am 15. März wurde Heinrich Eduard Heine als Sohn des Bankiers Karl Heinrich Heine und dessen Frau Henriette geb. Märtens als achtes von neun Kindern in Berlin geboren. Er selber gibt als Geburtsdatum den 16. März 1821 an. |
1825 | Heine wird evangelisch getauft. |
Seinen ersten Unterricht erhält er von Hauslehrern, später besucht er das Friedrichswerdersche Gymnasiums. In der Prima wechselt er an das Köllnische Gymnasium zu Berlin, an dem im Gegensatz zu anderen Einrichtungen verstärkt Mathematik und Naturwissenschaften gelehrt wurden. | |
1838 | Nach dem Abitur im Herbst 1838 beginnt er sein Studium an der Universität zu Berlin. Nach dem 1. Semester wechselt er an die Universität Göttingen, um bei C. F. Gauß (1777-1855) sowie M. A. Stern (1828-1894), einem Zahlentheoretiker, Vorlesungen zu hören. |
1840 | Nach 3 Semestern kehrt Heine nach Berlin zurück. Hier begegnet er Peter Gustav Lejeune-Dirichlet (1805-1859), den Heine später als seinen hauptsächlichsten Lehrer bezeichnet. Außerdem hört er Geometrie bei J. Steiner (1796-1863), Astronomie bei J. F. Encke (1791-1865), dem Direktor der Sternwarte. Weiterhin hat er wissenschaftlichen Kontakt zu K. Weierstraß (1815-1897). Den engen Kontakt zu den Berliner Mathematikern K. Weierstraß, E. E. Kummer (1810-1893), L. Kronecker (1823-1891) und C. W. Borchardt (1817-1880) pflegt er sein Leben lang, u.a. durch zahlreiche Reisen nach Berlin. |
1842 | Am 30. April promoviert Heine in Berlin. Die Arbeit zum Thema De aequationibus nonnullis differentialibusist Dirichlet gewidmet, der sie auch betreut hat. Bestellte Gutachter waren E. H. Dirksen (1792-1850) und M. Ohm (1792-1872). |
Er geht für 2 Semester nach Königsberg, um Vorlesungen bei dem Mathematiker C. G. Jacobi (1804-1851) sowie bei dem Physiker F. Neumann (1798-1895), dem ersten Vertreter der theoretischen Physik, zu hören. Gemeinsam mit S. H. Arnhold (1819-1884), G. R. Kirchhoff (1824-1887), L. Seidel (1821-1896) und Siebeck nimmt er an der Arbeit des berühmten Königsberger Mathematischen Seminars teil. Zusammen mit Seidel hört er auch Vorlesungen über Spanisch und Englisch. | |
1844 | Heine habilitiert sich am 20. Juli in Bonn. Weder ein Exemplar seiner Habilitationschrift noch sonstige Unterlagen zu seiner Habilitation, wie z. B. Gutachten, befinden sich heute im Archiv der Universität Bonn. |
1845 | Zur gleichen Zeit wie J. Liouville (1809-1882) in Paris stellt Heine die Beziehung zwischen dem Newtonschen Potential und den elliptischen Integralen her. Beide bestimmen auch eine zweite Lösung der Laméschen Differentialgleichung. |
1848 | Zunächst als Privatdozent in Bonn tätig, wird er dort am 13. Mai zum außerordentlichen Professor berufen. |
1850 | Heine heiratet Sophie Wolff, eine Berliner Kaufmannstochter. Aus dieser glücklichen Verbindung stammen 4 Töchter und 1 Sohn. Seine jüngste Tochter ist die in ihrer Zeit sehr bekannte Schriftstellerin Anselma Heine (1855-1930), die in ihren Lebenserinnerungen auch etwas über ihren Vater schreibt. |
1856 | Am 6. September wird Heine zum ordentlichen Professor an die Universität Halle berufen. |
Die Familie bezieht eine Mietswohnung in Halle an der Ecke Alte Promenade, Schulstraße. | |
1861 | Sein Buch über die Kugelfunktionen erscheint in erster Auflage. |
1863 | Die Berliner Akademie ernennt ihn zum korrespondierenden Mitglied, die Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften zum auswärtigen Mitglied. |
1864 | Heine wird für den Zeitraum 12. Juli 1864 bis 12. Juli 1865 zum Rektor der hallischen Universität gewählt. In seiner Rektoratsrede spricht er über das Newtonsche Gesetz. |
1866 | Die Familie zieht in eine eigene Villa, Ecke Luisenstraße 1. |
1872 | Im Crelle-Journal erscheint sein Artikel zur Functionenlehre. Es ist der erste publizierte Artikel überhaupt und die erste systematische Darlegung der Anfangsgründe der reellen Analysis im Sinne von Weierstraß. Die Arbeit endet mit dem Lehrsatz: Eine von x=a bis x=b (für alle einzelnen Werthe) continuirliche Function f(x) ist auch gleichmässig continuirlich. Fälschlicherweise wird dieser Satz heute oft nach Cantor benannt. |
1875 | Einen Ruf an die Göttinger Universität lehnt Heine ab. |
1877 | Anläßlich der Feier des 100. Geburtstages von C. F. Gauß wird Heine die Gauß-Medaille verliehen. |
1878 | Es erscheint der erste Band seines stark überarbeiteten und erweiterten Werkes über die Kugelfunktionen; der zweite Band folgt 1881. Während die erste Auflage 382 Seiten umfaßte, besteht die zweite aus insgesamt 864 Seiten. Ein Nachdruck dieser Auflage erscheint 1961. |
1881 | Nach längerem schweren Leiden stirbt Heine am 21. Oktober in Halle. Er wird auf dem Stadtgottesacker zu Halle beigesetzt, wo später auch seine Tochter Anselma Heine ihre letzte Ruhe findet; Grab und Grabstein sind noch erhalten. |
Bemerkung: In der Literatur wird häufig gesagt, dass Heinrich Eduard Heine ein Cousin des Schriftstellers Heinrich Heine (1797-1856) ist. Nach Auskunft des Heinrich-Heine-Institutes in Düsseldorf ist diese Aussage nicht korrekt. Es war wohl unter anderem auch diese vermutete Verwandtschaft, die während der Zeit des Faschismus Anlass zur Überprüfung der arischen Abstammung von Heine war. |
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Die Frage nach der Stetigkeit von Funktionen, die durch Reihen von stetigen Funktionen gegeben sind, die Frage der Darstellbarkeit "beliebiger" Funktionen durch trigonometrische Reihen, die Eindeutigkeit solcher Darstellungen und ähnliche Fragen haben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Klärung grundlegender Begriffe der Mathematik geführt. In diesem Prozeß eingebettet ist Heines Arbeit Über trigonometrische Reihen, J. reine angew. Math. 71 (1870) 353-365, die einerseits, wie Heine selbst sagt, durch Untersuchungen von Dirichlet, Riemann und Weierstraß angeregt und beeinflußt worden ist, und die andererseits Cantor zu seiner ersten mengentheoretischen Arbeit geführt hat. J. P. G. Lejeune-Dirichlet (1805-1859) zeigte in seinen Untersuchungen zu hinreichenden Konvergenzkriterien für Fourierreihen (vergl. Sur la convergence des séries trigonométriques ..., J. reine angew. Math. 4 (1829) 157-169) den folgenden schönen Satz: Seine Analyse, die letztendlich zu diesem Satz führte, stand Pate bei unzähligen Untersuchungen des 19.Jahrhunderts. Dirichlet war übrigens überzeugt, dass eine gleiche Aussage auch gilt, wenn die Funktion unendlich viele Unstetigkeitsstellen und unendlich viele Minima und Maxima hat, was allerdings nicht richtig ist. B. Riemann (1826-1866) entwickelte seine bekannte Integrationstheorie insbesondere auch, um den obigen Dedekindschen Satz zu verallgemeinern. Er gab notwendige und hinreichende Bedingungen für die Darstellbarkeit einer Function durch eine trigonometrische Reihe, deren Glieder für jeden Argumentwerth zuletzt unendlich klein werden. Beide Komplexe werden in Riemanns fundamentaler Arbeit Über die Darstellbarkeit einer Function durch eine trigonometrische Reihe, Abh. Gesell. Wiss. Göttingen, Math. Classe, 13 (1866-1867) 87-132, behandelt. Eine Arbeit, deren Veröffentlichung Dirichlet nach Riemanns Tod auf der Grundlage eines unvollendet gebliebenen Manuskripts aus dem Jahre 1854 veranlaßt hat. In dieser Arbeit unterschied er auch als Erster zwischen trigonometrischen Reihen und Fourierreihen. K. Weierstraß (1815-1897) hat insbesondere durch seine Vorlesungen an der Berliner Universität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den größten Anteil an der Weiterentwicklung der Analysis in dieser Zeit. In diese Vorlesungen ließ Weierstraß häufig Überlegungen zu seinen neuesten Forschungsergebnissen einfließen. Dies betrifft insbesondere die "epsilon-delta-Sprache" der Analysis, die gleichmäßige Konvergenz (oder wie er sagte Konvergenz in gleichem Grade, ein Begriff der wohl auf den Lehrer von Weierstraß Chr. Gundermann (1798-1852) zurückgeht) von Funktionenreihen sowie deren gliedweise Differentiation und Integration und frühe topologische Resultate (z. B. der Satz von Bolzano-Weierstraß). Seine Hörer aus aller Welt, darunter H. A. Schwarz (1843-1921) und G. Cantor (1845-1918), die später beide Privatdozent in Halle waren, sorgten durch Weitergabe der Vorlesungsmitschriften für die Verbreitung der neuartigen Weierstraßschen Ideen. Heine stellt an die Spitze seiner Untersuchungen über trigonometrische Reihen (vergl. J. reine angew. Math. 71 (1870) 353-365) den folgenden Satz, der an den oben zitierten Satz von Dirichlet angelehnt ist und insbesondere unter Verwendung Riemannscher Ideen bewiesen wird: Heine erläutert: Der Ausdruck "im allgemeinen" wird hier wie im Folgenden gebraucht, wenn die Ausnahme sich auf eine endliche Anzahl von Punkten beziehen soll. Konvergenz "im allgemeinen in gleichem Grade" bedeutet also gleichmäßige Konvergenz mit Ausnahme von endlich vielen Punkten, also ein Spezialfall der fast überall gleichmäßigen Konvergenz. Über ein Zwischenresultat leitet Heine daraus die folgende Aussage ab: (Also: Wenn eine trigonometrische Reihe ...., dann verschwinden alle ....) Eine Aussage, aus der dann sofort eine hinreichende Bedingung für die Eindeutigkeit der Darstellung von Funktionen durch trigonometrische Reihen folgt. Natürlich ergeben sich im Anschluss an den zuletzt zitierten Satz von Heine Fragen nach möglichen Verallgemeinerungen. Etwa: Wie läßt sich die Forderung nach Konvergenz "im allgemeinen in gleichem Grade" abschwächen? Braucht man überhaupt eine so starke Konvergenz? Oder: Für welche Mengen von "Ausnahmepunkten" bleibt die Eindeutigkeit der Darstellung einer Funktion durch eine trigonometrische Reihe erhalten? Eine Antwort auf derartige Fragestellungen mußte notwendigerweise mengentheoretisch sein.
Heine hat den jüngeren Cantor frühzeitig mit seinen Untersuchungen über trigonometrische Reihen bekannt gemacht. In beider Arbeiten finden sich Hinweise auf Anregungen durch den anderen. Insbesondere hat Heine Cantors Artikel über trigonometrische Reihen initiiert, von denen hier nur Über die Ausdehnung eines Satzes aus der Theorie der trigonometrischen Funktionen, Math. Ann. 5 (1872) 123-132, hervorgehoben sei. Enthält sie doch neben Cantors Theorie der reellen Zahlen auch seine für die Mengenlehre grundlegenden Definitionen der Ableitung einer Menge und Menge n-ter Art; sie steht damit am Berginn der Cantorschen Arbeiten zu mengentheoretischen Grundlagen. Für eine Menge P von reellen Zahlen heißt nach Cantor die Menge P' aller ihrer Häufungspunkte erste Ableitung von P. Induktiv definiert Cantor die n-te Ableitung von P durch P(n) = (P(n-1))' und schließlich ist P eine Menge n-ter Art, wenn P(n+1) leer ist. Der mit diesem neuen Begriff formulierte Satz bezüglich trigonometrischer Reihen liest sich bei Cantor folgendermaßen: Der Beweis auch dieser Aussage beruht wesentlich auf Überlegungen von Riemann. Erwähnt sei noch, daß Felix Bernstein (1878-1956), W. H. Yuong (1863-1942) und andere den hieraus wiederum folgenden Eindeutigkeitssatz für die Darstellung von Funktionen durch trigonometrische Reihen weiter verallgemeinert haben. |
Als beliebter akademischer Lehrer, hat Heine sicherlich eine ganze Reihe von Promotionen betreut sowie Habilitationen angeregt und begutachtet. Die beiden folgenden Listen sind keinesfalls vollständig. | |
Betreute Promotionen | |
1875 | Züge, Heinrich: Über die Anziehung eines homogenen Ellipsoids. (?) |
1879 | Herbst, Hermann: ? (am 16. Mai; Lehrer an der Oberrealschule Magdeburg) |
1881 | Baer, Karl: Gleichgewicht und Bewegung der Wärme in einem homogenen Rotationsparabolid. (?) |
Erste Gutachten in folgenden Habilitationsverfahren | |
1858 | Carl Neumann (1832-1925): ? (Lehrte bis 1863 als Privatdozent in Halle.) |
1863 | Gustav Roch (1839-1866) : De theoremate quodamcirca functiones Abelianas |
1867 | Hermann Amandus Schwarz (1843-1921): ? (Lehrte 1867 bis 1869 als Privatdozent und Extraordinarius in Halle.) |
1867 | Johannes Thomae (1840-1921): Titel der eingereichten Habilitationsschriften: (i) De propositione quadam Riemanniana in analysi, (ii) Über die Differentialgleichungen für die Module der Abelschen Integrale. | 1869 | Georg Cantor (1845-1918): De transformatione formarum ternarium quadricarum |
1875 | Enno Jürgens (1849-1907): Die Form der Integrale der linearen Differentialgleichungen (Lehrte bis Frühjahr 1883 in Halle.) |
1881 | Ernst Eduard Wiltheiss (1855-1900): Bestimmung Abelscher Funktionen mit zwei Argumenten, bei denen komplexe Multipklicationen stattfinden. |
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[ Inhaltsverzeichnis | Abriss ] | Autoren: M. Goebel, Ka.Richter, Ku.Richter, S.Sauter 7. Mai 2001 |
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