Wiederentdeckte Autorin
Scharfer Blick auf das alte Halle
Anselma Heine schildert gesellschaftliches Leben vor hundert Jahren - Biographie bei Lesern begehrt
Wie verwünschen liegt die Villa Luisenstraße 1 hinter Efeuranken. Für so manchen Spaziergänger ist das vernachlässigte Haus noch immer ein Blickfang. Daß dort eine fast vergessene Schriftstellerin lebte, wissen jedoch nur wenige. Dank dieser Autorin Anselma Heine - die Tochter des Haus-Erbauers, die gegen Ende ihres Lebens auch Erinnerungen niederschrieb - kann man sich noch heute ein Bild vom ursprünglichen Anblick der Villa machen: "Wie ein großer weißer Schmetterling hob sich das Gebäude mit seinen zwei Säulenbalkons und den beiden nach hinten gebogenen Flügeln vom
Grün des Gartens ab."
Der weiße Schmetterling im
Juli 1999.
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Anselma Heine schrieb diese Schilderung in ihrem 1926 erschienenen Buch "Mein Rundgang". Als eine der vier Töchter des Universitätsgelehrten Eduard Heine - eines Cousins von Heinrich Heine -
erlebte sie das gesellschaftliche Leben als höhere Tochter. Viele Episoden, so über den Komponisten Robert Franz, überliefert sie in diesem Buch. "Wissen Se, das missen Se mehr schwäfeljelb spielen",
soll er zu seinem Orchester gesagt haben - und die Musiker spielten die besagte Stelle schwefelgelb.
Aber auch ihre Verachtung über die Provinzialität des halleschen Gesellschaftslebens hielt Anselma Heine, die von 1854 bis 1930 lebte, nicht zurück. Sie wohnte bis zu ihrem 40. Lebensjahr in Halle und zog dann nach Berlin, wo sie lebhaften Anteil am blühenden
Theater- und literarischen Leben nahm. Sie war mehr als siebzig Jahre alt und weit gereist, als sie ihre Erinnerungen niederschrieb.
Kein Wunder also, daß Halle in der Rückschau eher trist erscheint. "Der Aufschwung der Freiheitskriege war in Leben und Kunst erloschen", schrieb sie. Jede Empfindung für Niveau sei abhanden gekommen. "Das Theater war leer", die bildenden Künste "hatten in der Stadt keinerlei Unterkunft". Farbenfeindlichkeit herrschte in den Häusern: "Überall die gleichen Apollo- und Diana-Büsten aus abwaschbarer Elfenbeinmasse". Allein die Musik fand Gnade vor ihrem strengsten Urteil, nur sie sei wirklich lebendig geblieben.
Nach und nach hatten drei Heine-Töchter geheiratet. Nur Anselma, die schon früh einen Hang zur literarischen Betätigung spürte, blieb ledig. Sie hielt sich zurück, wenn es um
"tiefere Herzensbindungen" ging. Schließlich seien diese "die stärksten Hindernisse für eine Frau, die sich zu geistiger Arbeit und Selbständigkeit" entwickeln wolle.
Selbst den kultiviertesten Männern habe damals jede Berufsfrau als alte Jungfer gegolten. Anselma Heine, die eigentlich Selma hieß, gab sich aus diesem Grund das männliche Pseudonym Anselm, das sie später mit Anselma wieder verweiblichte. In ihren Romanen äußerte sie die Vermutung, daß die Männer Angst davor hätten, das Rätsel Frau zu verlieren. Die berufstätige Frau als "Gleiche" und "Konkurrentin" werde meßbar. Insgesamt
veröffentlichte die Hallenserin 13 Bücher.
Der "weiße Schmetterling" in der Luisenstraße ist inzwischen grau geworden. Bewohnt wird das Haus zur Zeit unter anderen von Künstlern, denen Anselma Heine keine Unbekannte ist. Auch andere Hallenser haben die Autorin wiederentdeckt: Ein Exemplar ihres Buches "Mein
Rundgang" steht in der Universitätsbibliothek - und ist fast immer vergriffen.
Autorin: Simone Voigländer
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, 19. Febr. 1999
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