Erasmus Reinhold (1511-1553)
Erasmus Reinhold wurde 1536 Professor der Höheren Mathematik in Wittenberg. Er war
somit Kollege und Zeitgenosse von Martin Luther (1483-1546), Philipp Melanchthon (1497-1560)
und Georg Joachim Rheticus (1514-1576).
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1. Lebensdaten
Erasmus Reinhold wird am 21. Oktober 1511 in Saalfeld (Thüringen) geboren.
Der Vater Johannes Reinhold wirkte in Saalfeld als Schösser (Einnehmer der herrschaftlichen
Einkünfte, Steuereinnehmer, Rentmeister). 1537 heiratet Reinhold in Wittenberg die Bürgerstochter Margaretha Bauer. Dem Ehepaar wird am 20. Januar 1538 der einzige Sohn geboren. Erasmus Reinhold d. J. immatrikuliert sich, noch nicht 11jährig, am 7. August 1548 an der Universität Wittenberg. 1557 beginnt er ein weiteres Studium in Jena, promoviert schließlich zum Doktor der Medizin und praktiziert anschließend als Arzt in Saalfeld. Er gibt Werke seines Vaters heraus und vollendet das Werk Gründlicher und warer Bericht. Vom Feldmessen ... (4). Am 30. November 1592 verstirbt er in Rudolstadt. Margaretha Reinhold verstirbt 1548 im Kindbett und wird am 7. Oktober in Wittenberg begraben. Über weitere Kinder Reinholds aus seinen beiden Ehen ist nichts bekannt, jedoch sollen auch Töchter zur Familie gehört haben. 1536 wird Reinhold Professor der Höheren Mathematik in Wittenberg, wo im gleichen Jahr Rheticus die Professur für die Niedere Mathematik übernimmt. 1540/41 und im Sommer 1549 ist Reinhold Dekan der Artistenfakultät und im Winter 1549/50 Rektor der Universität Wittenberg. 1552 kehrt er nach Saalfeld in sein Elternhaus zurück. Als Grund dafür kann zum einen der Tod seiner zweiten Frau Martha, die am 30. April 1552 im Kindbett verstarb, zum anderen sein eigener schlechter Gesundheitszustand gelten. Möglicherweise wollte er einer Pestepidemie ausweichen, wegen der im Oktober 1552 die Universität Wittenberg vorübergehend nach Torgau verlegt wird. Erasmus Reinhold verstirbt am 19. Februar 1553 in Saalfeld an einem Lungenleiden, vermutlich an der Schwindsucht. Die Grabstätte Reinholds existiert nicht mehr. 1554 wird sein Schüler Caspar Peucer (1525-1602) Reinholds Nachfolger an der Universität Wittenberg. |
Die angeführten Werke stammen aus drei Arbeitsgebieten Reinholds: Astronomie
((1), (2)); Trigonometrie (3) sowie
Vermessungswesen (4).
(1) und (2) sind astronomische Tafelwerke. Das griechische
Wort Ephemeris bedeutet ursprünglich Tagebuch. Die Ephemeriden (1) geben
für jeden Tag 1550 und 1551 die Gestirnspositionen (Planetenpositionen) für
Beobachtungsorte auf dem Meridian von Wittenberg; die geographische Breite muß jeweils
noch berücksichtigt werden.
Reinhold hatte in den Jahren 1544 bis 1549 neue Bahnelemente auf Grund der Beobachtungen von Hipparch, Ptolemaeus und Copernicus abgeleitet und damit Tafeln zur bequemen Berechnung der Himmelsvorgänge hergestellt. Diese Tafeln eigneten sich gut für Vorausberechnungen; sie waren weit verbreitet. Reinhold versah sie mit einer langen Erklärung und nannte sie Preußische Tafeln zur Ehren von Herzog Albrecht von Preußen, dessen Hauptstadt Königsberg auch zum Bezugsort seines Ortsverzeichnisses machte; d.h. er wählte den Meridian von Königsberg als Nullmeridian [[9], S. 267]. Der Hohenzoller Albrecht, geboren 1490, wurde 1510 Großmeister des Deutschen Ordens. 1525 säkularisierte er den Ordensstaat, führte die Reformation ein und nahm sein Land als weltlicher Herzog in Preußen vom polnischen König zu Lehen. 1544 erfolgte die Gründung der Universität Königsberg i. Pr. 1568 stirbt Herzog Albrecht. 1618 fällt das Herzogtum Preußen an Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg. Über die sehr unerquicklichen Auseinandersetzungen von Erasmus Reinhold mit Herzog Albrecht wegen der Bezahlung, resp. dem Sponsoring der Prutenicae Tabulae findet man Erläuterungen bei Zinner [9], S. 268. Die Tafeln erschienen erstmals - wie erwähnt - 1551 bei Ulrich Morhard in Tübingen. Morhards Witwe veranstaltete 1562 eine Art Nachdruck der ersten Auflage. Herausgeber der zweiten Auflage (Tübingen 1571) war der junge Magister Michael Mästlin (1550-1631), der später Keplers Lehrer wurde. Er verfasste ein Nachwort, und fügte zwei Seiten mit Korrekturen hinzu. Die dritte Auflage (Wittenberg: Matthäus Welack 1585) besorgte C. Strubius. [[6], S. 200; [7]; [4], S. 222]
(3) spielt eine gewisse Rolle in der Geschichte der Trigonometrie.
Braunühl schreibt über das Werk:
"Erasmus Reinold (1511-1553) ... besorgte nämlich eine neue
Ausgabe der "Tabulae directionarum" Regiomontans's, die aber erst ein Jahr nach
seinem Tod 1554 erschien. Diese Tafeln enthalten außer einer Sinustabelle, welche
übrings ganz mit der von Rheticus 1542 publizierten übereinstimmt ... auch eine
umfangreiche Tangententafeln, tabula foecunda, die für r=107 von Minute zu Minute
berechnet ist ... [Ferner] ist zu bemerken, dass Reinhold den Nutzen der Tangenten nicht;
wie seinerzeit Regiomontan, nur in der leichteren Berechnung der Rektaszension und der
Verwendung beim Jakobsstab sieht, sondern er kennt auch ihren reinen trigonometrischen Wert
und stellt sie gleich nach den Sinussen. Offenbar hatte er hierin schon von Rheticus
gelernt, denn seine Definition der Tangeneten sowie der Cotangenten ... ist dieselbe, wie
bei jenem ...". [[1], S. 148/149] (8) Georg Peurbach (Peuerbach, 1423-1461) gehört zur "Wiener Schule". Er war ein ungemein vielseitiger Gelehrter, der Johannes Regiomontan (1436 -1476) beeinflußte. Seine "Theoricae Novae Planetarum" (= Neue Theorie der Planeten) war ein wichtiges Buch über Planetentheorie, das bis ins 17. Jahrhundert 56 Auflagen und Übersetzungen in verschiedene Sprachen erreichte. Reinhold hat das Buch durch Figuren und gelehrte Zusätze bereichert. In der vorliegenden Ausgabe wird schon die unvollkommene Camera obscura erwähnt. Im Vorwort und Kapitel " De motu octavae sphaerae" nennt Reinhold - auf Grund der Narratio Prima des Rheticus - Copernicus einen Künstler, von dem man die Wiederherstellung der Astronomie erwarten dürfe, und einen neuen Ptolemaeus. [[2], S. 318; [7]] |
1970 fand Gingerich in Edinburgh in der Crawford Collection of the Royal Observatory
ein Exemplar des Erstdrucks von Copernicus' " De revolutionibus orbium coelestium"
(Nürnberg, 1543) aus Reinholds Besitz, das Reinhold kurz nach dem Erscheinen des Buches
durchgearbeitet und mit vielen Randbemerkungen versehen hatte. Gingerich bemerkt dazu: " Reinhold was the senior professor of mathematics and astronomy at Wittenberg; at the time of his Polish trip, Rheticus was the junior professor there. Unlike Rheticus, Reinhold was a solid, conservatively oriented man who steadily worked his way up the academic ladder, finally becoming rector, a much admired teacher, and the most influential astronomer in the Lutheran world. As for Copernicus's treatise, he ignored the new-angled heliocentric cosmology while immersing himself in such safe technical questions as the motion of the moon (which in any system went around the earth) and the slow precessional motion of the starry firmament. That he held such an attitude is quite precisely revealed by the places where he did and where he did not annotate his De revolutionibus." [[3], S. 70]. Und an anderer Stelle: " The annotations within the book ... essentially ignore Copernicus' unorthodox, sun-centered cosmology while concentrating on the technical parts that could be interpreted as a mathematical exercise devoid of physical reality. Such a document dramatically corroborates the instrumentalist interpretation set forth a Wittenberg - an interpretation attested by a variety of other printed and mansuscript sources." GINGERICH verweist an der zitierten Stelle auch auf die Arbeit von Robert S. Westman, The Melanchthon Circle, Rheticus and the Wittenberg Interpretation of the Copernicus Theory, ISIS, 66 (1975), 165-193. [[5], S. 167].
Es ist jedenfalls überzogen, wenn Erasmus Reinhold bei Poggendorff als "einer der
ersten Anhänger des Copernicanischen Systems" bezeichnet wird. |
Philipp Melanchthon in einem Brief an Caspar Aquila vom 9. Mai 1553:
Alle Gelehrten des Landes trauern um den Tod von Erasmus, dieses aüußerst gelehrten und vollkommen untadligen Mannes, der wegen seiner wahren Frömmigkeit ein gottesfürchtiger Mensch war. Durch seine Studien hat er uns sehr genützt, und seine Arbeit wird auch in Zukunft noch sehr nützlich sein. Ich vermisse ihn wegen seiner familiären Nähe und wegen des fruchtbaren Gedankenausstausches auf dem Gebiet des Glaubens. Ich trauere sehr, weil mir ein solcher Freund und Kollege genommen worden ist.(Aus dem Lateinischen; Corpus Reformatorum Bd. VIII, 1841)
Tycho Brahe:
Erasmus Reinhold war ein ausgezeichneter Astronom und hat sich um die Wissenschaft der Astronomie, wie irgendeiner in unsererm Zeitalter, in ungewöhnlihlich hohem Maße verdient gemacht.(Aus dem Leinischen; Astronomiae instauratae progymnasmata, 1589)
Johannes Kepler:
In den nächsten Jahren folgte Erasmus Reinhold. Der Mann, der von Haus mit allem im Bereich der Wissenschaft ausgestattet war, brachte vor allem die mathematischen Künste hervor; bewundernswert war seine Klarheit und Einfachheit in komplizierten Dingen. Er übernahm die Tafeln des Copernicus, um ihnen eine neue Ordnung zu geben und fertigte die Preußischen Tafeln an, die er entweder nach dem Preußen Copernicus oder nach seinem Mäzen, dem Preußischen Herzog, benannte.(Aus dem Lateinischen; Tabulae Rudolphinae, 1625)
Johannes Voigt, ein preußischer Historiker:
Er [E. Reinhold d. Ä.] erhielt ein öffentliches Lehramt der Mathematik und trug zur allgemeinen Verbreitung, gründlicheren Bearbeitung und teilweise auch selbst zu Umgestaltung mehrerer Zweige dieser Wissenschaft mit bei. Diese seine Verdienste erhoben ihn bald zu einem der berühmtesten Mathematiker seiner Zeit.(Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Reformation ... 1841) |
[ Inhaltsverzeichnis ] | Autor: G. Betsch |
optstoch@ | 31. Mai 2001, © goma |