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Zur Geschichte der Mathematik an der Technischen Hochschule Carl Schorlemmer Leuna-Merseburg 1954 bis 1993

Mit Gründung der "Technischen Hochschule für Chemie Leuna-Merseburg" 1954 entstand gleichzeitig das Institut für Mathematik unter Leitung des Gründungsrektors der Hochschule Prof. Dr. H. Dallmann.

Die Bildungseinrichtung entstand im Chemiedreieck Leuna, Buna und Bitterfeld und hatte die Aufgabe, Chemiker und Verfahrenstechniker für die chemische Industrie auszubilden. Dementsprechend beschränkten sich die Aufgaben des Instituts für Mathematik zunächst auf die mathematische Ausbildung dieser Studenten.

Nachdem das Institut für den Zeitraum von 1969 bis 1974 vorübergehend in eine Sektion "Kybernetik, Mathematik und Datenverarbeitung" im Zusammenhang mit der Erweiterung des Ausbildungsprofils der Hochschule integriert war, wurde 1975 die "Sektion Mathematik und Rechentechnik" unter Leitung von Prof. Dr. H. Erfurth gegründet. Entsprechend dem erweiterten Ausbildungsprofil wurde auch die Hochschule in "Technische Hochschule Carl Schorlemmer Leuna-Merseburg" umbenannt. Die oben genannte Sektion bestand bis zur Auflösung der Technischen Hochschule 1993, nahm umfangreiche Aufgaben in Lehre und Forschung wahr und bildete insbesondere auch Diplom-Mathematiker der Fachrichtung "Mathematische Methoden der Operationsforschung" aus. Die Sektion gliederte sich in die Fachbereiche "Analysis", "Numerik" und "Modellierung, "Optimierung und Stochastik". Außerdem wurde auch das "Organisations- und Rechenzentrum" der Hochschule der Sektion angegliedert.

Neben den obligatorischen Grundvorlesungen, die in jedem Mathematikstudium angeboten werden, wurden in der Fachausbildung entsprechend dem Ausbildungsprofil u.a. Lehrveranstaltungen auf folgenden Gebieten angeboten:

  1. Mathematische Optimierung mit den Teilgebieten
    • Diskrete, Lineare, Nichtlineare und Dynamische Optimierung
    • Theorie der optimalen Prozesse
    • Numerische Verfahren in rechentechnische Aspekte

  2. Zufällige Prozesse mit den Teilgebieten
    • Stochastische Prozesse, Stochastische Modelle
    • Statistik zufälliger Prozesse
    • Statistische Simulation und Versuchsplanung

  3. Theorie und Anwendung kombinatorischer Strukturen mit den Teilgebieten
    • Graphentheorie
    • Netzwerktheorie
    • Ablaufplanung
    • Modellierungsprobleme
Die Ausbildung erfolgte praxisnah und in Zusammenarbeit mit industriellen Einrichtungen. Hochschullehrer, die in dieser Zeit den Ausbildungsprozeß der Studenten erfolgreich organisierten und leiteten, waren H. Erfurth, G. Bieß, A. Göpfert, W. Grecksch, J. Pieler, H. Benker und andere, von denen die vier erstgenannten Professoren zeitweise auch als Sektionsdirektoren fungierten. Zahlreiche ehemalige Absolventen der Sektion sind heute in Betrieben, Forschungseinrichtungen und Universitäten in verantwortlichen Positionen tätig.

Auch an der grundlagen- und anwendungsbezogenen mathematischen Forschung beteiligte sich die Sektion erfolgreich und erreichte teilweise Ergebnisse, die in Fachkreisen große Beachtung und Anerkennung fanden. Bereits am Institut für Mathematik wurde bis 1965 unter Leitung von Prof. Dr. Dallmann auf dem Gebiet der "Vierdimensionalen Darstellenden Geometrie" geforscht. Zeitgleich wurde von Prof. Dr. K.-H. Elster eine Forschungsgruppe, die sich mit Aufgaben der nichtlinearen Optimierung beschäftigte, gegründet. Nach 1965 wurde unter Leitung von Prof. Dr. H. Erfurth diese Forschung auf das für die Praxis wichtige und damals noch relativ junge Gebiet der optimalen Steuerung ausgedehnt.

Anfang der siebziger Jahre bildeten sich dann folgende vier Forschungsgruppen heraus:

  1. Forschungsgruppe "Optimierung in allgemeinen Räumen"
    In dieser von Prof. Dr. A. Göpfert geleiteten Gruppe wurden Maximumprinzipien für Steuerprobleme in allgemeinen Räumen aufgestellt, quadratische und normminimale Probleme der optimalen Steuerung untersucht und Dualitätstheorien auf Steuerprobleme angewendet. Weiterhin sind Aussagen zur Randsteuerung bei der Wärmeleitungs- und Diffusionsgleichung auch auf nichtzylindrischen Gebieten erzielt und Untersuchungen zur Stabilität von Approximationsproblemen und deren Dualaufgaben sowie zur Steuerbarkeit durchgeführt worden. Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit bildeten Verallgemeinerungen der Bang-Bang-Erscheinungen, zu den Tuckerschen Sätzen in der (abstrakten) Optimierung und zur Lösbarkeit linearer Ungleichungen in halbgeordneten Vektorräumen sowie Untersuchungen zu Komplementärproblemen.

  2. Forschungsgruppe "Ganzzahlige Optimierung"
    Die Schwerpunkte dieser von Prof. Dr. J. Piehler geleiteten Forschungsgruppe lagen auf der Anwendung algebraischer und zahlentheoretischer Methoden, auf Untersuchungen zur Erhöhung der Effektivität von Lösungsverfahren, auf Beiträgen zur nichtlinearen ganzzahligen Optimierung, auf Untersuchungen im Grenzgebiet Graphentheorie - ganzzahlige Optimierung, auf Untersuchungen von Problemen spezieller Struktur und in der Entwicklung heuristischer Verfahren.

  3. Forschungsgruppe "Stochastik"
    Die Schwerpunkte dieser von Prof. Dr. W. Grecksch geleiteten Forschungsgruppe lagen auf der Untersuchung und Steuerung stochastischer Systeme mit ITO-Differentialgleichungen als Nebenbedingungen und stochastischen Evolutionsgleichungen. Weiterhin werden stochastische Maximumprinzipien aufgestellt sowie eine Theorie der zufälligen Felder mit ITO-Formel entwickelt. Für alle Problemstellungen wurden auch epsilon-optimale Lösungsansätze, Nährungslösungen und numerische Aspekte betrachtet.

  4. Forschungsgruppe "Numerik"
    In dieser Gruppe wurden schwerpunktmäßig intervallmathematische Probleme behandelt.
In allen Forschungsgruppen wurden zahlreiche bemerkenswerte Dissertations- und Habilitationsschriften angefertigt. Die Arbeit der Forschungsgruppen "Optimierung in allgemeinen Räumen" sowie "Stochastik" wurde mit den Berufungen von Prof. Dr. A. Göpfert und Prof. Dr. W. Grecksch an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Fachbereich Mathematik und Informatik der Universität neu organisiert und fortgesetzt.


[ Inhaltsverzeichnis ] Autor: H.-U. Zschiesche

optstoch@ 30. Nov. 1998, © goma