H. W. E. JUNG wirkte von 1920 bis 1951 als ordentlicher Professor für
Mathematik an der Universität Halle. Er war einer der Direktoren des
Mathematischen Seminars, zweimal Dekan der
Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und Mitglied der
Deutschen Akademie der Naturforscher (Leopoldina). Sein wissenschaftliches Hauptarbeitsgebiet war die arithmetische Theorie der algebraischen Funktionen von zwei Veränderlichen. Das Porträt entstand 1950 oder 1951.
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Heinrich Wilhelm Ewald JUNG wurde am 4. Mai 1876 als Sohn des Bergrats
Wilhelm JUNG in Essen geboren. Er studierte von 1895 bis 1899 Mathematik,
Physik und Chemie in Marburg und Berlin. Seine Lehrer waren u.a. F. SCHOTTKY,
K. HENSEL, L. FUCHS, G. FROBENIUS, H. A. SCHWARZ und M. PLANCK. Von
besonderem Einfluß auf seine Entwicklung waren vor allem HENSEL in
Berlin und SCHOTTKY in Marburg. Angeregt durch den letzteren, promovierte er
1899 mit der Dissertation "Über die kleinste Kugel, die eine
räumliche Figur einschließt" und legte im selben Jahr die
Prüfung für das höhere Lehramt ab. Schon 1902 habilitierte er
sich in Marburg, wo er als Privatdozent bis 1908 blieb. Bis zu seiner 1913
erfolgten Berufung als Ordinarius nach Kiel war er Oberlehrer (Studienrat)
in Hamburg. Einer kurzen Zeit Kriegsdienst folgte 1918 eine Berufung an die
Universität Dorpat. 1920 wurde er Nachfolger von A. WANGERIN an der
Universität Halle, wo er bis zu seiner Emeritierung 1948 blieb. Danach
hielt er aber noch Vorlesungen bis 1951. JUNG hat die Ergebnisse seiner mathematischen Arbeit in 61 Veröffentlichungen niedergelegt. Hauptsächlich befassen sich diese mit der arithmetischen Theorie der algebraischen Funktionen von zwei Veränderlichen, mit den Integralen und Thetafunktionen algebraischer Funktionenkörper einer Veränderlichen und mit Punktsystemen in der Ebene und im Raum. Das letztgenannte Gebiet beschäftigt ihn in seiner Dissertation. Er bestimmt dort u.a. eine (n-1)-dimensionale Kugel von möglichst kleinem Durchmesser so, daß sie ein gegebenes Punktsystem im n-dimensionalen Raum einschließt, und berechnet dann den Halbmesser einer möglichst kleinen (n-1)-dimensionalen Kugel, in die man alle Punktsysteme des n-dimensionalen Raumes vom Durchmesser 1 hineinlegen kann. Für den Fall des zwei- und drei-dimensionalen Raumes lassen sich diese Aufgaben geometrisch lösen. JUNG formuliert sie analytisch und führt sie auf algebraische zurück. Es wird eine konstruktive Methode angegeben, nach der man die Aufgaben immer lösen kann (Jungscher Satz). Unter dem Einfluß von SCHOTTKY und gemeinsam mit ihm führt JUNG die Theorie der allgemeinen Thetafunktionen weiter. Die große Leistung seines Lebens, die man überall in der Welt mit dem Namen JUNG verband, ist aber die von ihm geschaffene Theorie der algebraischen Funktionen von zwei Veränderlichen. Sie baut sich auf der grundlegenden Arbeit über die Uniformisierung der algebraischen Funktionen von zwei Veränderlichen in der Umgebung einer Stelle x=a, y=b auf (11). In der Arbeit (12) definiert er dann den Begriff des Primteilers durch homomorphe Abbildung des Körpers der algebraischen Funktionen von zwei Veränderlichen auf einen Körper der algebraischen Funktionen einer Veränderlichen. Dieser in Anlehnung an HENSEL geschaffene Begriff läßt eine strenge Beweisführung von Sätzen über algebraische Flächen (z.B. den Riemann-Rochschen Satz) zu, die schon früher mit anschaulichen Methoden gefunden, aber nur für die einfachsten Fälle bewiesen worden waren. Besondere Bedeutung erlangten seine Untersuchungen über birationale Transformationen (z.B. über die Zusammensetzung von Cremona-Transformationen, i. bes. der ganzen Cremona-Transformationen). Eine zusammenfassende Darstellung der Anwendung seiner Methoden auf die Theorie der algebraischen Flächen findet sich in seinem 1925 erschienenen Buch (40). In einem zweiten, 1951 publizierten Buch (61) werden die arithmetisch-funktionentheoretischen Arbeiten zusammengefaßt. JUNGs Methoden stellen eine sehr glückliche Synthese zwischen abstrakter Fassung der Begriffe und Sätze, wodurch deren Allgemeingültigkeit gesichert wird, und einer Durcharbeitung zu einer handlichen Form dar, die auf ihre Anwendung im konkreten Fall hinzielt. So sind auch seine Arbeiten und Bücher mit sorgfältig ausgewählten, instruktiven Beispielen durchsetzt, die sich mit seinen Methoden durchrechnen lassen. Heinrich Wilhelm Ewald JUNG war einer der Menschen, die den Ruf des deutschen Gelehrten zu Ehren gebracht haben. Persönlich bescheiden, trat er hinter seinem Werk zurück. Er war nicht nur ein vorzüglicher Kenner seiner Arbeitsgebiete, sondern er überblickte auch die anderen mathematischen Disziplinen, wie seine Vorlesungen und Seminare bezeugen. Diese zeichneten sich durch größte Klarheit und Übersichtlichkeit aus und wurden von den Studenten gern besucht. In seinem Nachlaß fand sich ein Manuskript mit durchgerechneten Aufgaben zur Mechanik, das von seinem Interesse auch für die angewandte Mathematik Zeugnis ablegt. Seine außerordentliche Geschicklichkeit im Rechnen war bei den Studenten bekannt, und er sorgte auch dafür, daß sie sich im Rechnen übten. Seinen Zuhörern gab er ein lebendiges Beispiel der Liebe zur Mathematik und der Ehrfurcht vor ihren Meistern.
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1915, Kiel | Glause, Heinrich | Geometrischer Beweis der Ergänzungssätze zum bikubischen Reziprozitätsgesetz |
1915, Kiel | Reimers, Max Hermann | Zur Theorie der algebraischen Raumkurven und ihrer Tangentenflächen |
1915, Kiel | Perl, Andreas | Über die singulären Punkte der algebraischen Flächen 3. Ordnung |
1926 | Buschmann, Fritz | Die Transformation einer Gruppe ausgezeichneter Kurven 1. Art in einen gewöhnlichen Punkt |
1927 | Sander, Kurt | Rationale Herstellung einer Normalbasis für die Vielfachen eines Divisors |
1929 | Kohl, Elsbeth | Algebraische Korrespondenzen |
1931 | Johannes, Karl | Untersuchung über die algebraische Struktur des Körpers der n-ten Teilwerte einer homogenen elliptischen Funktion nullter Dimension |
1934 | Kämmerer, Gerhard | Das arithmetische Geschlecht in seiner Abhängigkeit von den Verzweigungskurven |
1934 | Oehlert, Martha | Über die Definition der Zeuthen-Segreschen Invariante |
1936 | Hoppe, Albrecht | Die Salmonschen Formeln |
1936 | Görner, Gerhard | Kennzeichnung der halbrationalen Körper |
1937 | Lüddecke, Werner | Beitrag zur Statik homogener Kreisplatten und Kreismembranen |
1937 | Dingel, Martin | Über ebene Schnitte, die durch eine Gerade einer Fläche gehen |
1938 | Brühl, Gerhard | Definition der Primteiler im rationalen Körper dreier unabhängiger Veränderlicher |
1941 | Leidheuser, Richard Wilhelm | Grundbegriffe und Grundlagen der birationalen Transformation des Körpers der rationalen Funktionen dreier unabhängiger Veränderlicher |
1942 | Krüger, Anneliese | Über die Verallgemeinerung der Zeuthen-Segreschen Invariante für Flächenbündel im 3-dimensionalen Raum |
1953 | Engel, Wolfgang | Primteiler höherer Art im rationalen Funktionenkörper von n Veränderlichen und ihr Verhalten bei Cremona-Transformationen |
1953, Göttingen | Meinhard, Dietrich | Endliche Gruppen birationaler Transformationen der Ebene und die isomorphen Gruppen der zugeordneten Matrizen |
Die obigen Ausführungen basieren auf:
O.-H. Keller und W. Engel: Heinrich Wilhelm Ewald Jung,
Wiss. Z. Martin-Luther-Universität Halle 4,
Heft 3 (1955), 417-422.
Der gleiche Artikel erschien (ohne Schriftenverzeichnis und Liste der Doktoranden) auch in: Jahresber. DMV 58 (1955), 5-10.
[ Inhaltsverzeichnis | Abriss ] | Autor: W. Engel, Rostock 19. Febr. 1999 |
optstoch@ | 16. Jan 2016, 19. Febr. 1999, © goma |